INPS Japan
HomeLanguageGermanRadio verbindet kirgisische Hirtengemeinschaft mit dem Rest der Welt

Radio verbindet kirgisische Hirtengemeinschaft mit dem Rest der Welt

Von Kalinga Seneviratne

SUUSAMYR, Kirgisistan (IDN) – Von der kirgisischen Hauptstadt Bischkek aus schraubt sich die kürzlich von China restaurierte Seidenstraße in atemberaubende Höhen. Hier, 4.000 Meter über dem Meeresspiegel, sind die Berge trotz der anstehenden Sommerzeit noch immer schneebedeckt.

Weiter abwärts, in Suusamyr, ist die Fahrt zunächst zu Ende. Die Ortschaft in 1.500 Metern Höhe, die sich in einem der entlegensten Täler Kirgisistans befindet, ist die Heimat von 1.300 traditionellen Nomaden.

Ein von jungen Leuten des Dorfes betriebenes Radioprojekt hat die gesamte Hirtenregion aus ihrer Isolation befreit. “Die meisten unserer Hörer leben in den Bergen”, bestätigt Aizada Kalkanbekova, die Direktorin von ‘Suusamyr FM 103’. “Wir versorgen sie mit Nachrichten und Musik.”

“Die Leute drehen das Radio bei der Arbeit an. Selbst wenn sie auf den Weiden sind, hören sie unsere Unterhaltungs- und Bildungsprogramme. Mit unseren Informationen und Musiksendungen verbinden wir sie mit dem Rest der Welt”, sagt Indusbekova Aitengir, die an dem Radioprojekt ehrenamtlich mitwirkt. Ihre berufliche Zukunft hat die 16-jährige klar vor Augen: Sie will Englisch studieren, um ihrem Dorf als Dolmetscherin zu dienen.

Ihre Mitschülerin Umsunai Achykova träumt von einem Softwareentwicklungsstudium. “Viele Menschen hier sind miteinander verwandt und unterstützen sich gegenseitig”, berichtet sie. “Vorwürfe, dass uns die Regierung nicht hilft, sind hier eher selten.”

In vielen asiatischen Ländern haben sich Gemeinderadios, die mit europäischen Hilfsprogrammen nach dem Motto ‘Eine Stimme für die Stimmlosen’ aufgebaut wurden, zu regierungskritischen Medien entwickelt.

Newsletter mit Behörden geplant

Suusamyr FM 103 geht einen anderen Weg. Der Sender hat sogar vor, mit der Lokalregierung einen Newsletter zu produzieren. Dieser soll alle 14 Tage erscheinen. Die Zusammenarbeit verschafft dem Projekt eine finanzielle Basis. 

Schon jetzt strahlt Suusamyr FM 103 die Ratssitzungen aus. “Die Menschen wissen nun, was in den Meetings geschieht, und die Ratsmitglieder sind besser vorbereitet”, sagt Kalkanbekova. “So konnte die Regierungsführung auf lokaler Ebene verbessert werden.”

Wie Kalkanbekova weiter berichtet, wurde das Projekt 2011 gestartet, nach der Gründung ihrer Nichtregierungsorganisation (NGO) ‘Aijaryk’. Dann habe die NGO ‘Internews‘ mit Zuschüssen der europäischen Union den Aufbau des Gemeinderadios unterstützt.

“Damals hatte ich keine Vorstellung davon, wie ein Gemeinderadio funktioniert”, erinnert sich Kalkanbekova, Akademikerin und Mutter dreier Kinder. “Bis wir endlich die Sendelizenz hatten, vergingen zwei Jahre. Unsere finanziellen Mittel waren aufgebraucht.”

Kalkanbekova musste sich nach Möglichkeiten zur Finanzierung einer Sendeanlage umsehen.” Damals hatte das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) vor Ort ein Weidebewirtschaftungsprojekt durchgeführt. Kalkanbekova bot an, das Projekt medial zu begleiten. “Auf diese Weise kamen wir zu unserer Anlage im Wert von 20.000 US-Dollar, und im Dezember 2011 konnten wir mit fünf ausgebildeten Helfern loslegen.”

Das Tal von Suusamyr ist das größte Weidegebiet Kirgisistans. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion wurde es ausgiebig genutzt. Dann folgte der Niedergang der lokalen Infrastruktur.

Ausbau der Viehwirtschaft

Die Region Suusamyr verfügt über die Kapizität, rund 28.000 Stück Vieh zu weiden. Mit Hilfe des Projekts konnten weitere 30.000 Hektar Weideland erschlossen sowie Straßen über eine Länge von 50 Kilometern und 56 Tunnel gebaut werden.

“Wir haben zur Entwicklung der Kommunikation beigetragen”, so Kalkanbekova. “Die Älteren kamen zu uns, um über traditionelle Viehhaltung zu sprechen. Und das (vom UNDP eingerichtete) Weidekommittee stellte in den Sendungen seine Arbeit vor.” Die Beiträge hätten das anfängliche Misstrauen der Lokalbevölkerung in das UNDP-Projekt zerstreut.

Noch muss Kalkanbekova das Radioprogramm allein mit ihrem Job als Trainerin bei der ‘Gemeinderadiovereinigung Kirgistians’ finanzieren. Dafür muss sie regelmäßig nach Bischkek – vier Stunden hin und vier Stunden zurück – reisen. “Der Betrieb des Senders erfolgt ausschließlich ehrenamtlich”, unterstreicht die Direktorin des Senders, die ihre Trainer-Ausbildung der ‘DW Akademie‘ verdankt.

Suusamyr FM 103 sendet täglich von 15.30 bis 19.00 Uhr. Durchgeführt und unterstützt wird das Projekt von elf Freiwilligen und sieben Schülerinnen und Schülern. Auch ein lokaler Imam und ein Arzt sind mit an Bord. So stellt sich der Arzt den Gesundheitsfragen der 15-jährigen Schüerin Sarymsakova Gulzar, während der Imam eine eigene Sendung betreibt, in der es 30 Minuten pro Woche um Religionsfragen geht. Hin und wieder lädt er auf Wunsch der Regierung einen Polizeivertreter ein, der sich zum Terrorismus äußert.

Eigene Website

Das Gemeinderadio versorgt auch die fünf Nachbardörfer mit seinem Programm. Inzwischen haben die Freiwilligen eine eigene Website ins Leben gerufen, auf der man die Nachrichten lesen und Fotos anschauen kann. “Ganz Kirgisistan kann nun unsere Arbeit verfolgen”, freut sich der Webmaster Anarbek Kaldykov. Facebook und Instagram zählen 700 beziehungsweise 670 Follower.

Eine Reportage und Bilder über die Überschwemmung einer Schule hat dazu geführt, dass die Schäden rasch behoben wurden. Wie Kalkanbekova versichert, ist der Umgang mit den Behördenvertretern gut. “Sie sind offen und immer zu Interviews bereit, auch wenn sie hin und wieder Kritik einstecken müssen”, sagt sie.

Die jungen Freiwilligen sind ständig auf Stimmenfang. “Mit unseren O-Tönen bauen wir eine Brücke zwischen den Menschen und den Behörden”, versichert Gulzar.

Die höchsten Einschaltquoten werden abends erreicht. Dann wünschen sich die Menschen über ihre Handys Musik und Informationen zu Themen, die sie interessieren.

Auf die Frage, warum ausschließlich junge Leute für Suusamyr FM 103 im Einsatz sind, antwortet Kalkanbekova: “In Kirgisistan arbeiten ältere Menschen nicht umsonst. Sie wundern sich, dass unsere Leute für ihre Arbeit nichts verlangen.” [IDN-InDepthNews – 27 April 2019]

Collage aus dem Logo von Suusamyr FM 103 und einem Foto mit den Freiwilligen des Senders – Kalinga Seneviratne | IDN-INPS

Most Popular